Hüttenbrenners Leben

Der in Graz am 13. Oktober 1794 geborene Anselm Hüttenbrenner erhielt schon in seiner Schulzeit Klavier- und Orgelunterricht. Während seines Jurastudiums, das er in Graz und Wien betrieb, wurde er im Jahre 1815 Schüler von Antonio Salieri, bei dem er Gesang und Komposition studierte. Hüttenbrenner erhielt von seinem Lehrer folgende Beurteilung:

1 „Herr Anselm Hüttenbrenner, Sänger und Künstler am Pianoforte, hat an meinem in derTonsetzkunst ertheilten Unterrichte durch mehrere Jahre eifrig Theil genohmen und durch seine Compositionen gründliche theoretische Musik-Kenntnisse und gediegenen Geschmak an Tag gelegt, auch im Spartspielen 2 seltene Fertigkeit bewiesen; daher ich Ihm für vollends fähig erkläre, die Stelle eines Kapellmeisters, auch eines Operndirectors mit dem erwünschtesten Erfolg zu bekleiden.“

Bei Salieri lernte er Franz Schubert kennen, mit dem ihn bald eine herzliche Freundschaft verband. Gemeinsam traten sie bei zahlreichen Konzerten auf. Die tiefe Freundschaft der beiden Komponisten zeigt sich darin, dass Franz Schubert am 16.12.1817 folgendes Cicero-Zitat in Hüttenbrenners Stammbuch schrieb: „Exiguum nobis vitae curriculum natura circum scripsit, immensum gloriae.“ 3 Cicero ex Orat: pro Rabirio Vindobonae 16/12 1817 Francisc. Schubert; sowie auch, dass Anselm Hüttenbrenner zum Tode von Franz Schubert den „Nachruf an Schubert in Trauertönen für Pianoforte“ 4 und auch das überaus beeindruckende Klavierstück „An Schuberts Grabe“ 5 komponierte. Besonders bemerkenswert ist es auch, dass Franz Schubert Anselm Hüttenbrenner die Originalpartitur seiner h-Moll Sinfonie „Die Unvollendete“ übereignete 6. Wie sehr Hüttenbrenner dieses Werk geschätzt hat, geht daraus hervor, dass er, nachdem er sich vergeblich um eine Aufführungsmöglichkeit bemüht hatte, das Werk für Klavier zu vier Händen setzte 7.

1821 kehrte er wegen des Todes seines Vaters und auch auf Wunsch seiner Mutter nach Graz zurück 8, wo er – inzwischen mit Else Pichler verheiratet – als Komponist und Musikkritiker tätig war. Von 1824 – 1829 sowie von 1831 – 1839 war er „Artistischer Direktor“ des „Musikvereines für Steyermark“ und schuf zahlreiche Werke aller musikalischen Gattungen.

Nach dem Tode seiner Frau 1848 übersiedelte er 1852 nach Radkersburg und lebte teilweise auch in der Untersteiermark (heute Slowenien), namentlich in Ptuj, Maribor und Celje 8. Während dieser Zeit schuf er unter anderem ca. 150 Lieder. Ab 1858 lebte er in Wien. Dort komponierte er im Frühjahr 1859 seine „Theatersinfonie“ in A-Dur. Im Mai desselben Jahres kehrte er nach Graz zurück, wo er einige Zeit später nach Graz-Oberandritz übersiedelte und am „Strasserhof“ bei seiner Tochter Angelika und deren Mann, dem Abgeordneten zum Steirischen Landtag Matthias Kaltenegger, seine letzten Lebensjahre in stiller, zufriedener Zurückgezogenheit – mit theologischen Betrachtungen beschäftigt – verbrachte 8. Eine vom Trachtenverein Graz-St. Veit im Jahre 1930 angebrachte Gedenktafel, am Hause Rotmoosweg 2 in Graz-Oberandritz, erinnert an diesen Lebensabschnitt des Komponisten. Er verstarb am 5. Juni 1868. Sein Grab befindet sich gegenüber der Südseite der Pfarrkirche Graz-St. Veit, unweit von seinem letzten Wohnsitz.

Die Kompositionen von Anselm Hüttenbrenner sind sehr melodienreich und besitzen eine unverkennbar eigenständige, musikdramatische Handschrift.

Welchen Stellenwert seine Kompositionen bei der musikinteressierten Gesellschaft sowie den künstlerischen und politischen Persönlichkeiten seiner Zeit eingenommen haben, zeigt, dass seine Sinfonie in E-Dur beim Konzert des Musikvereins in Graz am 18. September 1819 aufgeführt wurde und eine überaus positive Besprechung in der Zeitschrift „Der Aufmerksame“ 9 erhielt. Auch die Aufführung seiner Ouvertüre „Die französische Einquartierung“ beim 7. Gesellschaftskonzert in Wien am 8. April 1821 erhielt hohe Anerkennung von Publikum und Presse 9.

Weiters ist hervorzuheben, dass bei der Heiligen Messe für den verstorbenen Freund Franz Schubert, am 23. Dezember 1828 in der Augustiner Hof- und Pfarrkirche Wien, das Requiem Nr. 1 c-Moll (komponiert 1825) aufgeführt wurde, ebenso jeweils in der Grazer Barmherzigenkirche in Gedenken an Kaiser Franz I. im März 1835, am 16. Juni 1825 zum Anlass des Todes von Antonio Salieri, wie auch zum Gedächtnis an Ludwig van Beethoven am 12. Mai 1827. Das Requiem Nr. 3 c-Moll (komponiert 1840) kam zum Gedächtnis an Kaiser Franz I. zu dessen 7. Todestag am 2. März 1842 im Dom zu Graz zur Aufführung.

Anselm Hüttenbrenner ist als einer der interessantesten Komponisten des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen, da er auch als Zeitzeuge für die Musikgeschichte von großem Interesse ist. Er war an Beethovens Sterbebett zugegen und hat selbst die Augen des Meisters geschlossen. In einem Brief 10 vom 20. August 1860 an den Beethoven-Biographen Alexander Weelock Thayer erinnert sich Hüttenbrenner: „Ich drückte dem Entschlafenen die halbgeöffneten Augen zu, küsste sie, dann auch Stirn, Mund und Hände. Frau Beethoven 10, 11 schnitt mir auf mein Verlangen eine Haarlocke vom Haupte des Dahingeschiedenen und übergab sie mir zum heiligen Andenken an Beethovens letzte Stunde“.

Von Anselm Hüttenbrenner sind viele Werke verloren oder verschollen. Dennoch ist ein umfangreiches kompositorisches Schaffen erhalten geblieben, das in der Universitätsbibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz eine sichere Heimstatt gefunden hat.

Sein kompositorisches Werk umfasst: 8 Opern, darunter vollständig erhalten: „Lenore“, „Oedip zu Colonos“, viele geistliche Werke, darunter 6 Messen, 3 Requien, Motetten, zahlreiche Orchesterwerke, darunter die Sinfonien a-Moll und A-Dur, Concertino für Violine und Orchester, Grande Polonaise für Violine und Orchester, sowie Ouvertüren, 4 Streichquartette, 1 Streichquintett in c-Moll, einige Kompositionen für Orgel, Sonaten und andere Werke für Klavier, darunter den Zyklus „Geistererscheinungen und Geisterszenen“, über 200 Lieder, zahlreiche Frauen- und Männerchöre, Soloquartette für Sänger, Festmusiken und Märsche, sowie Bearbeitungen fremder Werke u.v.m.

1 Antonio Salieri: Dokumente seines Lebens von Rudolph Angermüller, Bd. 3, S. 204; 1808-2000. Bad Honnef 2000.

2 Partiturspiel

3 Kulturhistorische Abteilung des Steiermärkischen Landesmuseums „Joanneum“ in Graz, Stammbuch Hüttenbrenners, im Jahre 1888 von den Töchtern Angelika (Geli) und Maria (Mimi) an das Landesmuseum Joanneum übergeben

3 Mitteilungen des Steirischen Tonkünstlerbundes, Nummer 41, Juli-September 1969, S. 8-14. „Ein Kostbares Stammbuch von Anselm Hüttenbrenner“, von Konrad Stekl, mit Brief vom 2. Oktober 1888 von Matthias Kaltenegger (Schwiegersohn von Anselm Hüttenbrenner) an seinen Schwager Felix Hüttenbrenner 1837-1917

3 „Denn winzig, ihr Richter, ist das Fleckchen Leben, das uns die Natur abgesteckt hat, aber unermesslich groß das Feld des Ruhmes“

4 Universitätsbibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst (Nachlass), gedruckte Fassung, Haslinger – Wien

5 Universitätsbibliothekder Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Originalhandschrift, ohne Signatur (Nachlass)

6 Prof. Dr. Felix Hüttenbrenner 1888-1973 (Enkelsohn) Zur Geschichte der h-Moll-Symphonie, in: Sänger-Zeitung des Steirischen Sängerbundes, Nr. 2,Februar 1928, 8. Jg., S. 31 -32; Anselm Hüttenbrenner und Schuberts h-Moll-Symphonie in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark, Graz, 52. Jg., 1961, und ebenda, Prof. Dr. Felix Hüttenbrenner 1888-1973 (Enkelsohn) Franz Schubert und die Brüder Hüttenbrenner, 57. Jg., 1966, S.127-139, weiters Prof. Dr. Felix Hüttenbrenner 1888-1973 (Enkelsohn) und Hans Moebius; Anselm Hüttenbrenner und Schuberts „Unvollendete“, in: Neue Züricher Zeitung, Sonntag, 16. Juni 1968, Nr. 362 (Fernausgabe Nr. 163), S. 53.

7 Prof. Dr. Felix Hüttenbrenner 1888-1973 (Enkelsohn) Franz Schubert und die Brüder Hüttenbrenner, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark, Graz 57. Jg., 1966, S. 134 – 135

8 Diese Information rekurriert auf ein Gespräch zwischen Frau Dr. Gerda Merth (Urenkelin von Anselm Hüttenbrenner) und Prof. Peter Schmelzer, am 13.4.2010 in Graz

9 Rezensionen und Zeitungsberichte über Aufführungen der Werke von Anselm Hüttenbrenner sind nachzulesen unter: Dr. Dieter Glawischnig, Anselm Hüttenbrenner 1794 – 1868 „Sein musikalisches Schaffen“, ADVA Graz 1969, Universitätsbibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, S. 145 – 155

10 Alexander Wheelock Thayer 1817 – 1887, Boston (Bibliothekar, Journalist, Musikschriftsteller und Diplomat) Kopie vom Original bei Peter Schmelzer, Graz,

11 Gattin von Johann van Beethoven (Schwägerin von Ludwig van Beethoven)

Verfasser und hinterlegtes Copyright: Prof. Peter Schmelzer, Graz, 29.4.2010